Das Nest – Gesamtausgabe Band 2

Cover von Das Nest – Gesamtausgabe Band 2
(Bild: nerdisch-by-nature.de / Carlsen Verlag)

Es verschlägt mich mal wieder in die kanadische Provinz der Zwanziger Jahre, nach Notre-Dame. Marie, die nach dem Tod ihres Mannes Felix wieder zu sich selbst finden möchte, muss einen persönlichen Tiefschlag hinnehmen. Als sie ihrem Mitbewohner Serge ihre Gefühle für ihn gesteht, fängt sie sich aufgrund seiner Homosexualität einen Korb ein. Zutiefst gekränkt lässt sie sich in einem schwachen Moment auf ein tête-à-tête mit einem Dorfjüngling ein – ein Skandal für das so konservative Dorf!

Marie sehnt sich nach einem Tapetenwechsel und geht auf Anraten von Serge zusammen mit ihrer Freundin Jacinthe für eine Weile nach Montreal. Dort blüht die Witwe auf und tobt sich in jeder Hinsicht aus, während in Notre-Dame nach anfänglichem Gerede und Lästern die Bewohner feststellen, wie gut sie es eigentlich mit Marie und ihrem Dorfladen haben und wie abhängig sie von ihr sind. Als Marie und Jacinthe nach einiger Zeit zurückkehren, sehen sie sich gleich mit der nächsten Herausforderung konfrontiert, als es bei einem der holzfällenden Bewohner plötzlich um Leben und Tod geht…

Das ganz normale Leben in den 1920er Jahren

Das Nest – Gesamtausgabe Band 2 umfasst die regulären Alben vier bis sechs und setzt die Geschichte aus Band 1 nahtlos fort. Loisel und Tripp liefern weiter auf sehr hohem Niveau ab, vor allem zeichnerisch ist das ganz große Kunst! Die Farben, die Schattierungen, der Wandel der Jahreszeiten und die Figuren – alles sieht so verdammt gut aus, dass man allein durch diese Lektüre verstehen lernt, warum die Comic-Kunst auch „die 9. Kunst“ genannt wird.

Das Leben in der Stadt und auf dem Land
(Bild: nerdisch-by-nature.de / Carlsen Verlag)

Aber auch die Geschichte schreitet voran, wenn auch sehr langsam. Dieses wohltuend gebremste Erzähltempo kennen wir ja schon aus dem ersten Band. Der Leser nimmt teil am Dorfleben während Maries Abwesenheit, mit all seinen Höhen und Tiefen. Die Jahreszeiten schreiten voran, Dinge passieren, es wird gestritten, geliebt und getrunken. Aber auch die Erlebnisse von Marie und Jacinthe in Montreal bekommen wir (meist sogar ganz ohne Dialoge) zu sehen. Bissig kommentiert wird die Szenerie wie gewohnt von Maries verstorbenem Mann Felix.

Besonders gefallen mir die kleinen Details, die man erst beim genauen Hinsehen entdeckt. Die Arbeiten der Bewohner, die Landschaft und die Kleidung – alles ist sehr detailliert an die jeweilige Jahreszeit angepasst. Als Marie und Jacinthe zurückkehren, sieht man erstmal bewusst die unterschiedlichen Kleidungsstile zwischen Stadt- und Dorfbewohner. Und auch deren Frisuren unterscheiden sich arg voneinander.

Fazit

Das Nest – Gesamtausgabe Band 2 mag nicht für jeden Leser geeignet sein, manch einer wird es gar langweilig finden. Ich empfinde diese kleine Soap in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts aber als wohltuend geerdete und entschleunigte Unterhaltung, vor allem in dieser merkwürdigen Zeit. Régis Loisel und Jean-Louis Tripp haben hier eine wirkliche Perle der Comic-Kunst geschaffen, deren Faszination ich mich nicht mehr entziehen möchte. Ich bin gespannt auf den Abschlussband, den der Carlsen Verlag uns Lesern hoffentlich nicht mehr allzu lange vorenthalten wird. Zumal ich (ohne mich gespoilert zu haben!) glaube, dass uns noch eine große Entwicklung bevorsteht …

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