
(Bild: Carlsen Comics)
Manche Comics liest man, legt sie zur Seite – und macht weiter. Andere wirken nach. Und dann gibt es solche, die stellen sich einem regelrecht in den Weg. Die Bombe gehört zur letzten Kategorie. Dieses Werk ist keine Geschichte, die man konsumiert. Es ist eine, die man verarbeitet. Mit über 450 Seiten im monumentalen Schwarz-Weiß-Stil erzählt Die Bombe die Entstehung der ersten Atombombe – und tut das auf eine Weise, die ebenso nüchtern wie erschütternd ist.
Eine Erzählung aus dem Innersten der Materie
Das wohl ungewöhnlichste Stilmittel gleich zu Beginn: Erzählt wird aus der Perspektive des Uranatoms selbst – einem Element, das seit Jahrmilliarden existiert und nun in den Fokus menschlicher Gier, Angst und Machtfantasien gerät. Was zunächst wie ein Kunstgriff wirkt, entpuppt sich als raffiniert gewählter Blickwinkel. Denn dieser Erzähler ist weder Partei noch Opfer. Er ist da. Immer schon. Und das verleiht der Geschichte eine fast kosmische Tragweite.
Die Handlung beginnt im belgischen Kongo, wo das Uran für das Manhattan-Projekt abgebaut wird. Von dort entfaltet sich eine weltumspannende Erzählung über Wissenschaft und Militär, über Politiker und Forscher, über Visionäre, Mitläufer und Zweifler. Historische Figuren wie Oppenheimer, Szilárd, Fermi und Truman werden nicht als Karikaturen, sondern als komplexe Menschen gezeigt – mit Ambitionen, Ängsten und moralischen Dilemmata.
Faktenstark und erzählerisch dicht
Was Die Bombe besonders macht, ist die fast journalistische Präzision. Das französische Autorenduo Alcante & Bollée hat akribisch recherchiert – und schafft es, einen enormen historischen Wissensstand in ein dramaturgisch spannendes und gleichzeitig reflektiertes Erzählnarrativ zu überführen. Die Zeichnungen von Denis Rodier tun ihr Übriges. In feinem, realistischem Schwarz-Weiß bringt er Details zum Leuchten, ohne je in Effekthascherei zu verfallen.
Trotz der Fülle an Figuren, Orten und politischen Verflechtungen bleibt der Comic erstaunlich zugänglich. Und das liegt auch daran, dass er nie doziert, sondern erzählt. Im Zentrum steht keine These, sondern ein Prozess – der wissenschaftliche wie der menschliche. Es geht nicht um Schuldzuweisung, sondern um Nachvollziehbarkeit. Um Konsequenz. Und um Verantwortung.
Eine Lektüre, die hängen bleibt
Die Bombe ist kein Buch, das man „mal eben liest“. Es verlangt Aufmerksamkeit, Offenheit und auch eine gewisse seelische Stabilität. Denn das, was hier geschildert wird, ist historisch belegt und in seiner Konsequenz bis heute relevant. Der Abwurf auf Hiroshima und Nagasaki wird nicht spekulativ oder emotionalisiert dargestellt. Gerade das macht diese Passagen umso eindringlicher. Wenn der Erzähler – das Uran – am Ende lakonisch konstatiert, dass dies nur der Anfang war, dann ist das keine dramaturgische Überhöhung. Es ist eine Mahnung.
Fazit
Die Bombe ist eine grafische Meisterleistung. Eine historische Erzählung, die journalistische Genauigkeit mit künstlerischer Kraft verbindet. Und ein Werk, das uns erinnert, wie eng Wissenschaft, Politik und Menschlichkeit miteinander verknüpft sind. Der Comic ist eine Empfehlung für alle historisch Interessierte, für Menschen, die sich mit Wissenschaftsethik, politischer Macht und deren Konsequenzen auseinandersetzen wollen. Und für alle, die den Anspruch haben, auch mal unbequemere Lektüre zuzulassen – weil sie notwendig ist. Also: Wer Comics liebt, die mehr wollen als nur gefallen, kommt an diesem Band nicht vorbei. Und das nun bei Carlsen veröffentlichte preisgünstigere Paperback lässt diesbezüglich keine Ausreden mehr zu!