
(Bild: Carlsen Comics)
Ich mag die heimeligen „Who Did it“-Romane von Agatha Christie. Und so hatte ich mich schon auf diese Neuinterpretation von Die Morde des Herrn ABC gefreut – und wurde nicht enttäuscht. Die Carlsen-Ausgabe verbindet das Beste aus beiden Welten: die fiebrige Spannung eines Poirot-Falls mit der visuellen Kraft und Dynamik einer Graphic Novel.
Auf der Spur des ABC-Mörders
Die Handlung ist bekannt und zugleich immer wieder faszinierend. Ein mysteriöser Brief kündigt einen Mord an, den Hercule Poirot nicht verhindern kann. Weitere Morde folgen in alphabetischer Reihenfolge und irgendwann wächst der Fall über das Rätsel hinaus. Er wird zum Wettlauf gegen die Zeit. Es ist eine der klassischen Christieschen Prämissen: klar, elegant und mit einem Muster, dessen Lösung man zwar ahnt, aber dessen Verlauf unvorhersehbar bleibt.
Die Umsetzung als Comic bringt frischen Wind in die Geschichte. Mit Alberto Zanon als Illustrator und Frédéric Brémaud als Textautor bekommt Poirots Mühen ein Gesicht – und nicht nur das: Die Illustrationen sind atmosphärisch, setzen Licht und Schatten, Rätsel und Hinweise so in Szene, dass man sich mitten in den dunklen Gassen Englands wähnt. Der grafische Stil hebt die Spannung, ohne den klassischen Ton der Vorlage zu verlieren. Auch die Übersetzung leistet gute Arbeit: Sie liest sich stilistisch sauber und bewahrt die typisch Christie’sche Sprache.
Was mir besonders gefällt, ist wie dieser Band es schafft, den klassischen Krimi-Charme mit modernen erzählerischen Elementen zu verbinden. Der visuelle Rhythmus, wann Panels ruhig sind und wann hektisch, unterstützt das Mysterium, verstärkt das Gefühl, Poirot sei einem Gegner gegenüber, der nicht nur clever ist, sondern ein System hat. Der Hinweis mit dem Zugfahrplan etwa wird hier nicht nur als Plotdevice genutzt, sondern visuell spannend umgesetzt.
Ein kleiner Vorbehalt: Wer zum allerersten Mal Christies Original liest, könnte an manchen Stellen das Gefühl haben, die Adaption komprimiere ein bisschen zu sehr, um in das Comic-Format zu passen. Einige Nebenschauplätze und Personen sind weniger stark ausgearbeitet als im Roman und die Tiefe mancher innerer Monologe oder Beschreibungen muss dem Bild weichen. Aber das ist kein wirklicher Kritikpunkt, sondern eher eine unausweichliche Folge des Mediums.
Fazit
Die Morde des Herrn ABC in der Agatha Christie Classics Reihe ist für mich ein starker Comic. Es ist die Mischung aus ehrfürchtiger Adaption, atmosphärischer Gestaltung und packender Spannung, die diesen Band auszeichnet. Kein Ersatz für das Original, aber eine wunderbare Ergänzung – ein Band, den man lesen und wieder anschauen will, wegen der Details, der Kunst, des Nervenkitzels. Für alle, die Poirot, gute Kriminal-Storys und überzeugende Comics schätzen, ist das hier eine sehr lohnenswerte Lektüre.